Haarlos seit 32 Jahren
Ich habe lange hin und her überlegt, was ich und wie ich es schreiben soll – meine Geschichte – haarlos seit 32 Jahren – mit dem ich mich lange nicht mehr beschäftigt hatte.
Dieses Jahr meldete ich mich auf 2 Plattformen für Alopezia Areata auf Facebook an und schaute einfach mal, was so geht. So stiess ich auch auf Kopfrausch, die Menschen mit Glatze für ein Bodypaiting suchten . Kopfrausch ist eine Plattform für Menschen mit Alopezia und Produkten in jeglicher Form.
Kurzerhand „bewarb“ ich mich und fuhr sehr gespannt auf das Treffen. Dass das Treffen mich so sehr im Herz berührte, hätte ich nicht erwartet! Es war ein geniales Gefühl zu wissen, dass ich nicht alleine bin. 5 „Glatzenmädels“– eine schöner als die andere. WOW!
Ich wusste schon immer, dass es einen Verein gibt bzw. Institutionen, die sich mit Alopezia beschäftigen, aber ich dachte für mich, dass ich es für mich akzeptiert hatte und ich in dem Sinne „keinen“ brauche. Ich traf ab und an Menschen mit Alopezia auf der Strasse und sprach auch mit ihnen, aber dass man mal ein Treffen organisieren könnte bzw. einen Austausch organisieren könnte, auf diese Idee kam ich nicht – es war nicht der Zeitpunkt, stelle ich jetzt fest. Ich war noch nicht bereit. Bereit meine Geschichte in die Öffentlichkeit zu tragen, Mut zu machen und vielleicht Aufklärungsarbeit zu leisten.
Mein erstes Zusammentreffen mit Alopezia Areata war, als ich 7 Jahre alt war. Meine Eltern entdeckten eine kahle Stelle am Hinterkopf. Kurzerhand machte meine Mama Termine bei jeglichen Ärzten, die man sich nur denken konnte. Die erste Diagnose war: eine psychische Ursache. Da meine Oma, mit der ich ein sehr gutes Verhältnis hatte, ein halbes Jahr vorher verstorben war und ich ohne sie eingeschult worden bin. „War es der Schock?“, schossen meinen Eltern immer durch den Kopf. Trotzdem gingen wir noch zu anderen Ärzten. Natürlich wollten wir wissen, woher das denn kommen könnte. Tja, die Wochen zogen ins Land und meine Haare versammelten sich alle in meinem Bett. „Und auf einmal warst du kahl“, sagte meine Mama letztens zu mir, als wir das Thema mal wieder aufrollten. Willkommen in der Welt der Alopezia Universales!
Meine Mama ging auch zur Krankenkasse um dort dann nach Unterstützung für eine Perücke zu fragen. Und nach langem suchen – (1986/87 gab es leider kaum Perücken-Läden bei uns in der Gegend) fanden wir einen Laden, der mich mit meiner 1. Perücke versorgte. Ich taufte sie liebevoll „Prinzeisenherz“. Ich fand mich nicht schön mit diesem Ding da auf dem Kopf. Das juckte und die Plastikfäden stachen mich in die Augen. Und da ich mich mal gar nicht schön fand, zog ich auch den Pony richtig tief ins Gesicht. „Ich sehe euch nicht, also seht ihr mich auch nicht.“

Ich schielte quasi durch die Plastikhaare. Was noch dazukam war, meine Augenbrauen und meine Wimpern fielen auch aus. So hatte ich keinerlei Gesichtsmimik und sah, für mein Gefühl, auch krank aus. Noch ein Grund, mich nicht schön zu finden.
Die Perücke fing auch nach einer kurzen Zeit an zu verfilzen und zu verfusseln.. So beschloss ich immer den Kragen der Jacken und Shirts hochzustellen bzw. Schals zu tragen, auch habe ich irgendwann angefangen auf die Perücke (auch im Hochsommer) eine Ballonmütze zu tragen, weil ich immer Angst hatte, dass die Menschen sehen könnten, dass ich eine Perücke trug. Das Gute an dem Ganzen war, dass ich in der Schule keinerlei Probleme hatte. Keiner mobbte mich, keiner zeigte mit den Fingern (sichtlich) auf mich. Ich hatte immer sehr tolle Freunde um mich herum, die mich so nahmen, wie ich war. Weil sie mich auch nur so kannten.
Natürlich waren da auch Kinder, die nicht wussten, was ich hatte und mir im vollen Bus die Perücke vom Kopf zogen. Dafür gab es dann Kinder, die Partei für mich ergriffen hatten. Sie kämpften für mich und holten dann meine Perücke wieder zurück.
Mein Vater war Fußballtrainer und ich war gerne auf dem Platz. Eines Tages, als mein Vater und ich ein Spiel anschauten, zog unverhofft ein Junge mir meine Mütze samt Perücke vom Kopf und rannte davon. Ich habe meinen Vater noch nie so rennen sehen und ich stand wie angewurzelt, mit Papas Jacke um mich geschlungen, da. An mehr kann ich mich nicht mehr erinnern. Allerdings der Junge wusste nicht, dass ich eine Perücke trug. Damals wollte er mich nur ärgern und mir meine Mütze klauen. Später entschuldigte er sich tausend mal bei mir und seit dem Tag an war er mein Verteidiger. Auch seit dem Tag zog er keinem Kind mehr die Mütze vom Kopf!
Mit 12 Jahren wurde ich auf den „Stuhl“ in der Frauenklinik in Freiburg gesetzt. Viele Ärzte standen um mich herum und wunderten sich. Auf eine Lösung kamen sie allerdings nicht. Aber meiner hormoneller Haushalt war Ok! Genauso wurden meine Gehirnströme gemessen. Mir wurde gesagt, dass dieKappe mit den Messinstrumenten auf dem Kopf ziepen würde, wenn sie es wieder abnehmen würden. Na, bei mir nicht, da ich ja gar keine Haare hatte. Und ja, da war wohl auch alles ok!

Mit 13 Jahren habe ich dann mit einer bis heute mir ans Herz gewachsenen Freundin das Schminken für mich entdeckt. Sie zeigte mir wie man einen Lidstrich zog, damit das Auge eine Form bekam. Sie lehrte mich, wie ich meine Augenbrauen in mein Gesicht zaubern konnte. Das war eine lange Lehre, da es gar nicht so einfach war, alle Striche so zu ziehen, dass ich einwenig ansehnlich aussah. Aber man sagte, ich hätte Talent gehabt.
Die Jahre zogen ins Land und die Diagnose war immer noch recht unklar. Immer noch eine psychische Ursache. Zwischenzeitlich bekam ich einen neuen Frisurenschnitt. „Nena“ zog bei mir ein. Ich sah wohl aus wie Nena. Und der Pony wurde ein wenig gelichtet, da ich ja die Technik des Schminkens erlernt hatte.

Und dann ist zwischen meinem 14ten und 16ten Lebensjahren etwas passiert, was ich bis heute nicht erklären kann. Ich lernte ein Mädel kennen, die mit mir (heute würde man sagen) personelle Entwicklung praktizierte. Wir machten Freud-Tests. Sprachen auch viel über die AU. Mein Haarpony und mein Blick wurde für Menschen offener. Und auf irgendeiner Weise wuchsen meine Haare!!! Ich habe es aber nicht gleich verstanden. Da ich bis dahin, wie ich es heute empfinde, wie in Trance lebte.
Richtig aufgefallen ist es mir, als ich in eine neue 9. Klasse kam, da ich ein Jahr wiederholen musste. Ichbeschloss damals, dass ich mich vor die Klasse stelle, und mir die Perücke vom Kopf ziehe, um sie aufzuklären, dass ich Alopezia Universales habe. Ja, da stand ich vor der Klasse, ohne Perücke und eine Aussage kam aus der Klasse: „Du hast doch Haare, warum trägst du eine Perücke!?“ Darealisierte ich erst, dass ich Haare hatte! Meine Haare wuchsen wie wild. Sie waren schon einige Zentimeter lang. Nichtam ganzen Kopf. Was ich heute weiss,dass die Art des Ausfalls Alopezia Ophiasis heisst. An den Schläfen, im Nacken und die Stelle, an dem der Haarausfall begann, blieben kahl. Und irgendwie störte mich das nicht – Ich bekam ein neues Lebensgefühl geschenkt.

Das war der Startschuss für mich um darüber nachzudenken, die Nena Perücke in die Ecke zu werfen. Ich fühlte mich zum ersten Mal wach und bewusst. So beschloss ich, dass ich ohne Perücke aus dem Haus gehen. Die kahlen Stellen versteckte ich mit einem Haarband oder trug Baseball-Caps, da damals der Undercut sehr In war, fiel ich damit gar nicht auf. Zum ersten Mal fühlte ich mich schön! Ich war 17 Jahre alt und entdeckte die Jungenwelt.
Da traf ich dann auch auf meinen ersten Freund, der in meinem Alopezia Leben ein riesige Rolle spielen wird, denn mit 19 Jahren fielen mir meine neu gewonnen Haare wieder aus. Er kannte mich mit Haaren, nicht mit Perücke, auch ungeschminkt, was er persönlich auch nicht schlimm fand. „Was du hast, du bist schön!“ Ich brauchte lange, bis ich mich vor ihm „ungeschminkt“ gezeigt hatte. Meine Haare fielen immer mehr aus und irgendwann stand nur noch am Hinterkopf ein langer Schwanz an fusseln ab, die ich hegte und pflegte. Mein Trick war, dass der Haarschwanz durch den hinteren Verschluss der Baseball-Cap rausschaute. Eines Tages schnappte mich mein Freund und rasierte, natürlich mit Absprache mit mir, dieses heiß geliebte Überbleibsel ab. So, da stand ich nun, ohne Haare, mit Glatze – Miss Baldy war geboren. Sofort und gleich bin ich NICHT mit Glatze in die Öffentlichkeit. Nein, dafür empfand ich mich nicht stark genug. Aber was ich wusste, ich wollte keine Perücke mehr! Ich überbrückte meine Unsicherheit mit Caps.
Der erste Test „oben ohne!“ zu gehen, war in Basel/Schweiz, da ich Grenznah wohnte und ich dachte, dass die Basler ein recht offenes Völkchen sind. Ich ging mit einer damaligen Schulfreundin die Strassen entlang und nahm dann unverhofft, als ob das alles völlig normal wäre, meine Mütze ab. Ich war unsicher, ja klar! Das kann ich nicht leugnen. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie Menschen reagieren könnten oderob ich diese Reaktionen verkraften könnte. Ich versuchte diese Gedanken auszublenden. Bis dann die 3 Personen vorbei liefen, die mein Dasein als Glatzenmädel stärkten. Sie kamen auf uns zu und ohne sich abzusprechen gaben sie mir einen Daumen hoch und grinsten mich an!! Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie ich mich gefreut hatte und konnte mit gehobenem Hauptes die Basler Strassen entlang laufen.
Die nächsten Tests waren auf Parties. Mein damaliger Freund war Techno-DJ und so war vom Aussehen her, fast alles erlaubt, was verrückt aussah. Ich muss sagen, diese Zeit und meine damaligen Freunde und mein damaliger Freund haben mich geprägt und haben mir den Mut gegeben, ohne bedenken „oben ohne“ zu gehen. Die Leute waren oft von den Socken, da ich einer der einzigen Frauen war, die mit Glatze rumlief. In der Zeit war ich eine „Trendsetterin“ (wurde mir auch gesagt!), da ich nach und nach immer mehr Frauen gesehen hatte, die ihre Haare absichtlich abrasierthatten.
Trotzdem bin ich nochmal zu Ärzten und habe die eine oder andere Therapie gemacht. Unter anderem die Kortison Therapie – da wurde mir mit einer Pistolen-Spritze unter die Kopfhaut Kortison geschossen. Danach sah ich aus wie „Hellraiser“ mit fruchtbaren Beulen auf dem Kopf, die höllisch weh taten und mir Krater auf der Kopfhaut hinterließen. Diese Therapiebrach ich nach dem 2mal ab, da ich nicht einsah, dass ich nur für Haare mich quälen ließ!
Naja, quälen ließ ich mich nochmal. In dem heissen Sommer 2003. Meine letzte Therapie, die ich gemacht habe. Ich bekam eine Tinktur auf den Kopf geschmiert, die Reizung sollte mein Immunsystem ablenken, damit meine Haare wieder wachsen. Die Tinktur war so stark, dass ich Ekzeme auf dem Kopf bekam. Dazu kam noch, dass sie mir ins Gesicht lief und die Folgen waren, dass ich kurzerhand beschloss, dass ich auch diese Therapie abgebrochen hatte.
Ich beschloss nichts mehr zu unternehmen, zu akzeptieren und mich so zu nehmen wie ich bin. Auch da kann ich nicht leugnen, dass es ein harter Weg war. Zweifel und Ängste begleiteten mich oft.
2006 ging die Beziehung mit meinen damaligen Freund auseinander und da kamen meine Zweifel und Ängste hoch. „Bin ich gut genug? Finde ich wieder jemand? Bin ich Frau oder Mann? Da mich später oft Menschen fragten, ob männlich oder weiblich sei. Muss ich mir eine Perücke zulegen, damit ich mich als Frau fühle?
Und was sage ich mittlerweile dazu? Ja, ich bin voll und ganz Frau, die keine Perücke braucht. Ich könnte noch mehr Geschichten über mein Dasein erzählen, weil ich glaube, dass ich ganz viele Erfahrung und Erlebnisse gar nicht erlebt hätte, wenn ich nicht Alpopzia hätte. Ich denke, wir Alopezianer haben ein wenig mehr geschärftere Sinne, die sich in Menschen versetzten können.
Es hört sich für viele als eine Floskel an, aber fürmich stimmt es: „Es sind nur Haare!“ Haare machen kein Herz aus, nur das Aussehen.
Eure Stephanie
