Ich bin seit 20 Jahren mal mehr oder weniger von Alopecia Areata betroffen. Angefangen hat es bei mir mit 16 Jahren, als ich mit der Berufsmaturität begonnen habe. Die Schulzeit war für mich nie ein „Klacks“ gewesen, ich musste immer sehr oft lernen, damit ich bei allen Fächern mithalten konnte. Dieser psychische Stress hat sich während der 4 jährigen Berufsmaturität noch verstärkt. Vermutlich war das bei mir der Auslöser für den kreisrunden Haarausfall. Über ca. 2 Jahre hinweg hatte ich dann Alopecia Ophiasis, hierbei fehlen die Haare kranzartig im Ohren- und Nackenbereich. Glücklicherweise konnte ich die kahlen Stellen immer mit den oberen Deckhaaren kaschieren.

Meine Eltern rannten mit mir von Arzt zu Arzt, vom Dermatologen bis zur Heilpraktikerin. Ich habe gefühlt tausend Mittelchen und Prozeduren über mich ergehen lassen. In den Folgejahren, bis ca. zu meinem 20igsten Lebensjahr, wuchsen die Stellen zu und haben sich an anderen Orten wieder gebildet.

Während ich hier schreibe, frage ich mich die ganze Zeit, was ich dabei empfunden habe…. Und ich kann es nicht sagen. Es ist mir nicht bewusst, dass ich es als extrem schlimm empfunden habe oder sehr darunter gelitten hätte. Aber vielleicht habe ich die Gefühle auch einfach verdrängt oder tief in mir drin vergraben – ich weiss es nicht.

Das Einzige was mir noch geblieben ist, ist, dass mal ein Hausarzt nach einem grossen Blutbildtest zu mir sagte, ich hätt Blutwerte, als wäre ich in Tschernobyl gross geworden. Ich glaube meine Eltern hatten grössere Sorgen um mich, als ich selber.

Nach ca. 4 Jahren auf und ab sind alle Stellen komplett zugewachsen. Rückblickend habe ich keine Ahnung, ob oder was genau dazu beigetragen hat. Ev. hat irgendeine Therapieform angeschlagen oder das Ende der Schulzeit brachte die Heilung. Zwischen 21-27 hatte ich dann komplett Ruhe von Alopecia.

 


Abbildung 1: volles Haar mit 23 Jahren

 

2005 lernte ich meinen heutigen Mann in einem Urlaub in Spanien kennen. Damals hatte ich schulterlange hellbraune Haare, war top fit und fühlte mich rundum wohl und sorglos. Wir führten 3 Jahre lang eine Fernbeziehung zwischen St. Gallen und München, bis Steffen dann einen tollen Job in Herisau ergattert hatte und zu mir gezogen ist. Kurze Zeit später hatten wir die Möglichkeit ein Stück Land zu kaufen und ein Haus zu bauen. So glücklich wir auch waren und so aufregend das Ganze war, so brachte die Bauerei auch viel Ärger und Hindernisse mit sich.

Vom Gefühl her, war es für mich wieder so stressig wie damals in der Schule. Ein unterschwelliges Gefühl von Stress und Druck. Es dauerte kein halbes Jahr, da machte sich der kreisrunde Haarausfall bereits wieder bemerkbar. Diesmal aber auf eine viel heftigere Weise. Ich verlor innerhalb von 6 Monaten fast meine ganze Kopfbehaarung. Auch dann habe ich mir wieder alle möglichen Heilmittelchen aufschwatzen lassen, doch es liess sich nicht stoppen. Mit Lockenstäben und sonstigen Hilfsmitteln versuchte ich krampfhaft aus meinen wenigen Haaren noch eine einigermassen anständige Frisur zu machen… das dauerte immer seeeehr lange und sobald draussen etwas Wind oder Regen war, war die ganze Arbeit wieder dahin. Irgendwann sah ich aus wie ein gerupftes Huhn.

Da mein Vater in frühen Jahren bereits eine Glatze bekam und sich damals für ein Toupee entschieden hatte, hat er für mich einen Termin bei einem Perückengeschäft ausgemacht und mich dorthin begleitet. Die Auswahl war leider nicht gross, aber trotzdem wurde ich fündig. Ich habe mich damals für eine etwas längere Perücke entschieden, denn ich dachte mir, wenn ich jetzt eh schon so ein Ding tragen muss, dann will ich endlich mal lange Haare haben.

Rückblickend betrachtet war dieser Moment nicht allzu tragisch für mich. Das schlimmste war nur das Rasieren der restlichen Haare. Da sind dann schon einige Tränen geflossen. Aber auch hierzu kann ich mich nicht entsinnen, dass ich extrem unter der Situation gelitten habe. Vielleicht liegt es wirklich da dran, dass ich glücklicherweise einen sehr verständnisvollen Freund, liebevolle Eltern und tolle Freunde hatte, die mich jederzeit unterstützt haben.

Was mich zum jetztigen Zeitpunkt allerdings stört ist, dass damals niemand daran gedacht oder mich dazu motiviert hätte einfach mit Glatze oder Kopfbedeckung rauszugehen. Das kam weder mir noch meinem Umfeld jemals in den Sinn. Es gab nur die eine Lösung und die hiess Perücke.

 


Abbildung 1: Ich und mein Kurzhaar-Pudel ;-)

 

Die Langhaar-Perücke wurde bereits nach kurzer Zeit, aus praktischen Gründen, in eine Kurzhaar-Perücke getauscht. Aber egal oder kurz oder lang, ich fühlt mich nie richtig wohl damit. Wenn ich mich im Spiegel anschaute, dachte ich immer – wer um himmelswillen bist du denn????

Ich nannte meine Perücke immer Pudel und so dann auch meine Freunde und Familie. Hierzu möchte ich gerne noch eine kleine Anekdote zu Pudel einfügen:

Ich war mit Freunden auf einem Weinfest in St. Gallen, als wir auf dem Jahrmarkt Autoscooter gefahren sind. Ich sass bei meiner Freundin im Wagen und als wir mit Vollgas mit einem anderen Auto zusammengestossen sind, ist Pudel im weiten Bogen über den Belag geflogen. Dass nicht noch ein anderes Auto darüber gefahren ist, grenzte an ein Wunder. Wir haben alle lauthals gelacht – Tränen gelacht…. Während des Lachanfalls wurde mir dann aber bewusst was passiert war und dass ich ja jetzt ganz entblösst war…. Da schlugen die Freudentränen ganz schnell und sehr intensiv in einen Heulkrampf um. Das ist der einzige Moment, an den ich mich erinnern kann, wo mir die Alopezie wirklich schwer gefallen ist.

 


Abbildung 1: 2012/2013 mit nachgewachsenen kurzen Haaren und kurz darauf wieder mit ersten kahlen Stellen

 

So schnell die Haare also im 2009/10 ausgefallen waren, so rasch waren sie auch wieder komplett nachgewachsen. Leider war der Glücksmoment aber nicht von langer Dauer. 2012 sind wieder alle Kopfhaare ausgefallen. Als ich zum zweiten Mal mit meiner Glatze vor dem Spiegel stand, war mir klar, dass ich nicht wieder eine Perücke aufziehen werde. Kurzerhand habe ich alle Mitarbeiter meines Arbeitsplatzes per Mail darüber informiert, dass ich keine Haare mehr habe und ich fortan nur noch mit Kopftuch oder Mützen auf die Arbeit kommen werde. Das war für mich eine grosse Befreiung und erfüllte mich zugleich mit Stolz, dass ich mich getraut habe mich zu outen.

Noch am gleichen Tag, habe ich auf der Arbeit dem Postboten die Tür geöffnet, weil die Dame die das sonst macht, gerade nicht am Platz war. Der Postbote kuckte mich an und scherzte: Na gehen wir jetzt unter die Piraten????

Ah ja – da war das Selbstbewusstsein direkt schon wieder um die Hälfte geschrumpft. Wie ich im Nachhinein erfahren habe, hat die Arbeitskollegin, die eigentlich dem Postboten hätte öffnen sollen, ihm am nächsten Tag ganz schön die Leviten gelesen.

Zwischenzeitlich haben Steffen und ich überlegt zu heiraten… aber irgendwie war ich bei dem Gedanken zu heiraten ohne Haare immer etwas zurückhaltend. Vermutlich auch deswegen, weil ich die Hoffnung nicht aufgegeben hatte, dass die Haare auch wieder nachwachsen würden. Sind sie aber leider bis heute nicht.

Im Dezember 2014 fasste Steffen den Entschluss und fragte mich, ob ich seine Frau werden möchte. Das war natürlich einer der schönsten Momente in meinem Leben und ich war zugleich sehr glücklich und dankbar, dass er mich jederzeit so liebt wie ich bin, ob mit oder ohne Haare.

 


Abbildung 1: 2014 Heiratsantrag in New York

 

Auf der Suche nach dem perfekten Brautkleid, bin ich von Pontius zu Pilatus gerannt, bis ich dann in einem winzigen Geschäft das passende Kleid gefunden hatte. Glücklicherweise beschäftigte dieses Brautmodengeschäft eine ausgezeichnete Schneiderin, der ich ganz genau sagen konnte, was ich mir für eine passende Kopfbedeckung dazu vorstellte. Wir haben die Schleppe des Kleides etwas gekürzt und den Stoff davon für eine stylische Kopfbedeckung im 60er Jahre Stil verwendet. Ich bin heute noch soooo dankbar – diese Schneiderin hat mir meinen Tag so besonders gemacht, wie ich es mir immer gewünscht hatte.

 


Abbildung 1: 10.10.2015 Unsere Hochzeit

 

Ein nächstes Highlight in meiner Alopeciageschichte schrieb das Jahr 2017. Eines Abends rufte mich Romina Rausch an und erzählte mir, dass Sie auch Alopecia hätte, dass die Kopfbedeckungen designt und produziert und dass jetzt ein grosses Fotoshooting ansteht, zu welchem Sie noch Models suchte. Ich war total perplex und überrascht überhaupt mal jemanden kennenzulernen, der ebenfalls kreisrunden Haarausfall hat und dann auch noch in der übernächsten Gemeinde wohnt. Wahnsinn! Ich war völlig aus dem Häuschen. Ein Treffen und einige Telefonate später stand ich als Model für modische Kopfbedeckungen der Linie RRby (Romina Rausch Headfashion) vor der Kamera. Das Fotoshooting fand während dem Auffahrtswochenende am Bodensee und in der Gemeinde Waldstatt statt. Nebst mir gab es noch andere erwachsende Alopecia-Models (Männer und Frauen), sowie auch ganz viele betroffenen Kinder. Ich war sprachlos und komplett überwältigt, soviele Gleichgesinnte auf einem Haufen zu treffen.

 


Abbildung 1: RRby Fotoshooting Mai 2017

 

Ich glaube dieser Moment war der Beginn meiner völligen Befreiung aus dem Versteckspiel „Alopecia“. Ich weiss nun, dass ich lieber aussergewöhnlich als nur gewöhnlich bin und dass ich einfach so sein darf wie ich bin. Wenn immer mir danach ist ist, gehe ich mit Glatze unter die Leute, ansonsten trage ich liebend gerne die Headfashion Linie von RRby. Natürlich gibt es immer wieder Menschen die mich Anstarren oder Tuschlen, aber damit kann ich leben. Mir ist es viel wichtiger, dass ich mich wohl in meiner Haut fühle und mich nicht unter bzw. hinter etwas verstecken muss, nur damit ich in das gewohnte Bild der Menschheit passe.

Keine Haare ist schliesslich auch eine Frisur – eine besonders praktische obendrein.

Herzlichst, Eure Kati