Mein Name ist Kristin. Seit ca. 8 Jahren lebe ich jetzt mit einem unfreiwilligen Begleiter zusammen. Er nennt sich Alopecia Areata. Um ehrlich zu sein, weiss ich gar nicht mehr genau wie lange wir schon zusammen sind. Im ersten Moment war es wie in einem schlechten Film. Ich verlor immer mehr den Boden unter meinen Füßen. Zuerst bemerkte ich eine kleine kahle Stelle am Hinterkopf. Aus dieser kleinen Stelle wurden innerhalb weniger Wochen viele große kahle Stellen, die sich lustig miteinander verbunden. Zu diesem Zeitpunkt trug ich lange blonde Haare, die es mir am Anfang ermöglichten dir betroffenen Stellen gut zu vertuschen. Ich arbeitete in einer hinzu noch sehr oberflächlichen „Branche“wo perfektes und makelloses Aussehen an der Tagesordnung stand. Mühsam kämmte ich und fixierte ich jeden Morgen meine verbleibenden Haare so, damit ich möglichst wie immer aussah. Zumindest versuchte ich den Schein aufrechtzuerhalten. Es überkamen mich täglich Wut und Verzweiflung und ich stellte mir ständig die Frage, warum gerade ich? Unzählige Arztbesuch später, beschloss ich meinen Kopf kahl zu rasieren.
Keiner der Ärzte nahm mich mit meinem Problem nicht wirklich ernst. Von Kortison bis DCP Therapie hab ich alles versucht. Nichts schlug an, innerhalb vom Ausbruch bis zu meiner Entscheidung das ich meine langen blonden Haare abschneiden werde waren gerade mal 8 Wochen vergangen. Es war eine sehr emotionale Entscheidung dem ganzen Desaster auf meinem Kopf den Kampf anzusagen und ein Ende zu setzen. Damals wusste ich nicht, dass ich meine Haare so wohl nie mehr spüren werde. Der Duft von frisch gewaschenen Haar ist in weit entfernte Erinnerung gerückt. Allerdings hat sich gleichzeitig mit dem völligen Rasieren meines Kopfhaares eine unwahrscheinliche Erleichterung in mir eingesetzt.

Trotz neuem Erscheinungsbild war ich mir näher als sonst. Ich mochte, was ich im Spiegel sah. Doch irgendwie war es sehr konträr zu meiner Vorstellung, wie man als Frau auszusehen hat. Bei der Arbeit trug ich im ersten Jahr eine Perücke. Dieses Gefühl einer Kostümierung wurde ich einfach nicht los. Mein Zweithaar flog bei jeder Gelegenheit in die Ecke. Ich konnte mich damit nicht identifizieren geschweige mit meinem neuen Ich. Kurz nach dem ich mich von meinen Haaren verabschiedete bemerkte ich wie mir plötzlich auch meine Wimpern und Augenbrauen ausfielen. So lernte ich eine weitere Hürde in meinem Leben kennen. Da ich beruflich aus der Kosmetikbranche komme, konnte ich diesen weiteren Makel jedoch sehr gut versteckten. Meine damalige Beziehung war gescheitert, ich hatte meine Weiblichkeit verloren und beschloss mein Leben umzukrempeln. Wenn man so eine neue Herausforderung vom Leben gestellt bekommt, beschloss ich sie anzunehmen. Als Erstes wechselte ich meinen Job. Mit dem Schritt in mein neues Umfeld, entschied ich mich in meinem neuem ich zu präsentieren. Das hieß für mich, ohne Perücke. Ich fand mich in meiner neuen Rolle gut zurecht. Für meine neuen Kollegen, Freunde und Familie spielte es auch keine grosse Rolle. Ob mit Haaren oder ohne, ich war für alle noch die alte Kristin. Aber war ich es wirklich noch?

Nach so einem Wandel ist es sehr schwierig sich wieder in seiner eigenen Mitte zu finden. Besonders der Umgang mit der Öffentlichkeit auf einmal nicht mehr der „Norm“ zu entsprechen wurde für mich zur grössten Herausforderung. Plötzlich starrten mich alle an und ständig musste ich mich für mein Aussehen rechtfertigen. Es wurde mir schnell bewusst was es hiess anders zu sein. Ich spielte das Spiel der ständigen Rechtfertigung für mein Äusseres ein paar Jahre mit. Bis mich bitterböse meine Depression einholte und das mit Anlauf. In den vergangenen Jahren wechselte ich noch 2 mal den Job bis zu dem Zeitpunkt an dem ich nicht mehr konnte. Eine unglaubliche Müdigkeit brach über mich ein. Ich war es leid, mich ständig für mein Aussehen zu rechtfertigen, ich war es leid immer wie eine schwer kranke Person angeguckt zu werden und ich war es leid einfach anders zu sein. Ich verabredete mich immer seltener mit Freunden und hatte jegliche Lust an Freizeitaktivitäten verloren. Diese Isolation von allem die das Leben so lebenswert machen hielt ca. 1 Jahr an. Ich war nur noch müde, unglaublich müde. Mittlerer Weile waren Angst.- und Panikattacken an der Tagesordnung. Ich musste erneut in meinem Leben etwas ändern.
Aber nur was? Viel zu erschöpft und zu müde um überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen begann ich eine Therapie. Ich musste mein Inneres Ich wieder finden, denn dies hatte ich in den letzten Jahren über Bord geworfen. Mit dem Abrasieren meiner Haare war meine Identität erloschen. Ich musste etwas Grundlegendes ändern, denn es war mehr als überfällig. Rückblickend auf damals, war es vielleicht der Weg, den ich gehen musste, um jetzt dort zu stehen, wo ich heute bin. Vor kurzem hab ich mein eigenes Kosmetikinstitut eröffnet. Mittlerer habe ich über 12 Jahre Erfahrung in der Beauty Branche sammeln können. In meinem Job, wo Makel eigentlich keinen Platz haben, habe ich meinen Platz eingenommenen. Jeder Mensch hat seine ganz eigene persönliche Geschichte. Meine ist offensichtlich, andere tragen Sie behütet in sich. Mein heutiger Erfolg ist meine Geschichte, ich bin absolut authentisch und ich liebe meinen Job. Jeder kann bei mir sein wie er ist und das schätzen meine Kunden sehr. Heutzutage ist die Alopecia Areata mein Freund und nicht mein Feind. Meine Geschichte hat mich zu einem besseren Menschen gemacht und mich dahin gebracht, wo ich heute stehe.
Wo steht ihr? Es passieren tolle Dingen im Leben, wenn man sich darauf einlässt und die Herausforderung annimmt. Einer meiner grössten stützen ist mein Freund, dem ich an dieser Stelle Danke sagen möchte. Danke, dass du meine Launen ausgehalten hast. Danke, dass du mich so nimmst wie ich bin und Danke, dass du mich jeden Tag zum Lachen bringst. Du bist ein ganz besonderer Teil von mir.
Wenn ihr mehr über mich erfahren wollt, folgt mir auf Instagram unter Mission_make_up oder besucht meine Website: www.mission-makeup.com
Eure Kristin
